Neulich erzählte mir jemand, daß er sich Fotoausstellungen auch deshalb nicht ansehe, weil Fotografie „unehrlich“ sei. Heutzutage könne man sich nie sicher sein, ob bei dem Bild nicht technisch getrickst wurde. Ganz im Gegensatz zu Malerei: Dort wisse man, daß getrickst worden sei.
Mein Einwand, daß es bei künstlerischer Fotografie – ganz genauso wie bei Malerei – nicht um das konkret dargestellte, sondern um den Bildeindruck, die erzählte Geschichte, gehe, schien meinen Gesprächspartner nicht zu überzeugen.
Tatsächlich hatte er natürlich nicht unrecht. Man nehme zum Beispiel dieses Bild:
… offensichtlich aufgenommen zu Zeiten der letzten Ölkrise. Der Tageszeit nach früher Nachmittag, und trotzdem nicht ein einziges Auto auf einer normalerweise hoch frequentierten Bundesstraße.
Allerdings ändert sich der Eindruck schlagartig, sobald man „ehrlich“ wird:
Das erste Bild war über eine Langzeitbelichtung unter Zuhilfename eines höheren ND-Filters entstanden.
Sollte man nun zugunsten der „Ehrlichkeit“ auf solche Werkzeuge verzichten? Für mich wäre das der falsche Weg. Natürlich wäre es nicht korrekt, das konstruierte Bild in einer Tageszeitung zu verwenden, etwa unter dem Titel „Katastrophe legt Verkehr lahm“.
Dazu ist es aber auch nicht gedacht. Was wäre, wenn im oberen Bild auf der leeren Fahrbahn plötzlich ein Lagerfeuer erschiene, mit einer Menge ausgelassener Leute darumherum, die ihr Wochenende genießen? Und dieses Foto nicht im Nachrichtenteil der Zeitung, sondern auf der Kreativ-Seite aufgeführt wäre, Bildunterschrift „Heiterkeit triumphiert über anonyme Betonwüste“?
Dann wäre es nicht mehr Reportage, sondern eine Geschichte. Und eine Geschichte darf tricksen, um ihre Aussage zu vermitteln. Oder hat schon einmal jemand Rotkäppchen gefragt, warum sie plötzlich mit einem Wolf sprechen konnte?