Edelzoom-Odyssee

… oder wie ich lernte, mein Sigma 18-35 zu lieben.

Das Objektiv Sigma Art 18-35mm F1,8 DC HSM wird in allen Testberichten für seine brilliante Bildqualität gelobt. Manche Nutzer beklagen jedoch in Foren eine unvollkommene Funktion des Autofokus – Frontfokus, Backfokus, oder auch beides abwechselnd. Unter Umständen kann jedoch eine umfangreiche Kalibrierung auch dort noch weiterhelfen, wo Sigma selbst schon aufgegeben hat.

Art 18-35mm F1,8 DC HSM

Art 18-35mm F1,8 DC HSM (Quelle: Sigma)

Vorgeschichte

Ein im August 2013 erworbenes Objektiv Sigma Art 18-35 erzeugte immer wieder unscharfe Bilder. Das Verhalten war an mehreren Kameras stets gleich: Wenn der AF traf, waren die Bilder gestochen scharf. Wenn der AF aber nicht traf, so war die Schärfeebene nicht etwa nur leicht verschoben, sondern das gesamte Bild wirkte verwaschen. Es war kein Muster erkennbar, das auf eine Ursache hätte schließen lassen: Von mehreren Bildern, die hintereinander mit den gleichen Einstellungen aufgenommen wurden, waren ohne erkennbaren Grund einige scharf und andere nicht.

erste Korrekturversuche

Sigma bietet für Ihre Objektive aus der „Global Vision“ Serie, zu der das 18-35 gehört, das sogenannte USB-Dock an. Mit diesem Adapter lässt sich ein kompatibles Objektiv vom PC aus justieren. Das Verfahren beruht im wesentlichen auf Trial-And-Error: Anhand von Testbildern versucht man einzuschätzen, ob die tatsächliche Schärfeebene vor oder hinter dem anvisierten Punkt liegt. Je nach dem programmiert man über das USB-Dock einen größeren oder kleineren Korrekturfaktor in das Objektiv.

Sigma USB-Dock

Sigma USB-Dock (Quelle: Sigma)

Großer Vorteil dieser Methode ist, daß sich auf diesem Weg auch Kamera-Objektiv-Kombinationen korrigieren lassen, bei denen die Kamera selbst kein „Autofokus Micro Adjustment“ (AFMA) beherrscht. Außerdem lässt sich das Objektiv damit genauer einstellen, als es mit einfacher zwei-Werte-AFMA möglich wäre.

Dabei liegt gerade darin aber auch der große Haken des Verfahrens begraben: Um das Objektiv vollständig anzupassen, können insgesamt 16 Orte eingemessen werden: Die Brennweiten 18mm, 24mm, 28mm und 35mm, jeweils in den Entfernungen 28cm, 35cm, 50cm und 2m. Die Messung ist dementsprechend aufwendig und langwierig.

automatische Korrektur

An Kameras, die selbst über AFMA verfügen, kann auch dieses zum Ausgleich verwendet werden. Dazu werden lediglich zwei Korrekturfaktoren eingegeben: Einer für das Weitwinkel-Ende des Zoombereiches (hier 18mm) sowie einer für das Tele-Ende (hier 35mm.)

Mit nur zwei Messpunkten ist dieses Verfahren natürlich viel schneller, aber auch ungenauer, da sich damit nur lineare Abweichungen korrigieren lassen.

Nun gibt es die Möglichkeit, die optimalen Werte für AFMA automatisch bestimmen zu lassen. Man stellt dazu die Kamera auf ein Stativ, richtet sie auf ein Target aus, verbindet die Kamera über USB mit einem Laptop und startet auf diesem z.B. die Software Reikan FoCal. Diese wählt automatisch sinnvolle Meßorte (d.h. Korrekturfaktoren) aus, nimmt damit ein Bild auf, bestimmt den Schärfegrad der Aufnahme, und interpoliert aus den Ergebnissen eine Kurve, deren Maximum die optimale Schärfe bezeichnet. Ein Durchgang dauert einige Minuten und findet je nach Kameramodell voll- oder halbautomatisch statt. Wieviele Aufnahmen dazu benötigt werden hängt davon ab, wie „gut“ die Ergebnisse sich in die gesuchte Kurve einbetten lassen.

Zwischenstand

Was aber, wenn die Ergebnisse nicht reproduzierbar sind? Wenn zwei gleich aufgenommene Bilder sich fundamental unterscheiden, das eine scharf, das andere unscharf, obwohl die gleichen Einstellungen verwendet wurden?

In diesem Fall funktioniert das USB-Dock nicht: Sobald man glaubt, einen Wert gefunden und programmiert zu haben, klappt die nächste Aufnahme wieder nicht und man kann von vorne beginnen.

Auch die automatische AFMA-Methode über FoCal funktioniert dann nicht: Ist eine Aufnahme nicht reproduzierbar, ergibt also der zweite Schuss ganz andere Ergebnisse als der erste, so gibt die Software irgendwann auf und meldet (sinngemäß) „keine Lösung gefunden“.

FoCal Test Result

FoCal Test Chart Messmodus „Fully Auto“, Sigma 18-35 bei 35mm: Jeder grüne Punkt repräsentiert eine Messung. Liegen mehrere Punkte auf einer vertikalen Achse übereinander, so haben zwei Messungen mit identischen Aufnahmeeinstellungen zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt, d.h. die Messung war nicht reproduzierbar.

Sigma

An dieser Stelle gab der Autor dieser Zeilen vorerst auf und sandte das Objektiv an Sigmas Reparaturdienst zwecks einer Grundkalibrierung. Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Ergebnis war Null. Beim zweitenmal, ein halbes Jahr später (nach weiteren langen, frustrierenden Versuchen) ebenso, und nach dem drittenmal (von Sigmas Kundendienst auf Nachfrage empfohlen, weil mit dem Objektiv einfach kein zuverlässiger Gebrauch möglich war) auch nicht. Die Bearbeitung erfolgte stets zügig, jedesmal kostenlos (Bravo, Sigma!) – aber letztlich immer erfolglos. Einzig erkennbares Ergebnis war, daß manchmal in den per USB-Dock auslesbaren Speicher des Objektivs neue Werte eingetragen worden waren, die beim nächstenmal wieder gelöscht wurden. Die Probleme aber blieben unverändert.

Großangriff

Nachdem selbst Sigma offensichtlich nicht mehr weiter wusste, blieb noch eine einzige Chance: „Per Hand“ jeden einzigen der 16 möglichen Korrekturfaktoren, die sich per USB-Dock programmieren lassen, zu ermitteln. Aber wie, wenn die Ergebnisse nicht reproduzierbar sind und die automatische Ermittlung per FoCal auch nicht funktioniert?

Es gibt noch ein weiteres Verfahren zur Ermittlung eines AFMA-Wertes. Stellt man das Objektiv auf manuellen Fokus, so zeigt die Kamera einen Indikator an, falls sie das Bild für scharf hält. Für diese Beurteilung genügt ein „halber Druck“ auf den Auslöser, ein Bild muß dazu gar nicht ausgeöst werden. Bei Canon-Kameras erscheint dann ein Punkt im Sucher, falls das Bild scharf ist, bzw. eben kein Punkt, falls nicht.

Stellt man nun an der Kamera nacheinander alle möglichen AFMA-Werte von -20 bis +20 ein, tippt jeweils den Auslöser an und notiert, wann laut Kamera Scharfstellung erziehlt wurde, so ergibt sich wieder eine Art Kurve. Z.B. könnte von -20 bis -5 niemals Schärfe erziehlt werden, bei -4 manchmal, zwischen -3 und 0 immer, bei 1 manchmal und von 2 bis +20 wieder gar nicht mehr. Der gesuchte optimale Punkt leigt dann in der Mitte des gefunden Bereiches, in diesem Beispiel zwischen -2 und -1. Dieses Verfahren ist auch als „Dot-Tune Methode“ bekannt.

Nachteil des Verfahrens ist, daß es ungenauer als die Analyse von echten Bildern ist. Vorteil ist, daß es immer funktioniert, weil einzelne Messfehler sich viel weniger auf das Ergebnis auswirken.

FoCal kann auch diesen Prozess unterstützen, indem es (wieder je nach Kameramodell) entweder den ganzen Vorgang automatisch durchführt, oder wenigstens die Auswertung („wann war scharf“) übernimmt.

FoCal Test Chart

FoCal Test Chart Messmodus „TurboCal“: Sigma 18-35 bei 18mm

Auswertung

Die mit FoCal halbautomatisch ausgeführten Messungen ergaben im vorliegenden Fall folgende Tabelle:

0,28m 0,35m 0,50m 2,00m
18mm +6 +2 -3 -9
24mm -4 +3 +2 -1
28mm +5 +6 +6 -7
35mm +18 +10 +10 +16

Beim Betrachten dieser Tabelle wird eines klar: Wenn die Werte auch nur halbwegs stimmen, dann ist einer solch schauderhaften Kurve mit lächerlichen zwei AFMA-Korrekturfaktoren natürlich nicht beizukommen.

Also weiter:

Die ermittelten Werte entsprechen nicht 1:1 den Werten, welche die Software des USB-Docks verwerten kann. Zwar ist der Wertebereich gleich, aber die Dock-Zahlen scheinen „sensibler“ zu sein. Der Einfachheit halber wurden die ermittelten Werte daher einfach jeweils halbiert und solchermaßen in das Objektiv programmiert.

Letzter Akt

Nach dieser Prozedur hatte sich die Reaktion des Objektives deutlich verändert. Es war nun unscharf. Und zwar immer. Schlecht? Im Gegenteil!

Man erinnere sich, daß es zahlreiche Möglichkeiten gibt, einen abweichenden Autofokus zu korrigieren. Was im vorliegenden Fall so lange Schwierigkeiten bereitet hatte war aber nicht eine konstante Abweichung, sondern die mangelnde Reproduzierbarkeit. Wenn mehrere Aufnahmen hintereinander auf die gleiche Weise unscharf sind, dann ist eine Korrektur kein Problem mehr.

Also folgte nun ein weiterer Lauf durch FoCal zur Ermittlung der beiden AFMA-Werte zum Einstellen in der Kamera. Und tatsächlich – wo der Algorithmus der Software zuvor versucht hatte, mit zahllosen Versuchen irgendein System zu erkennen und schließlich regelmäßig aufgegeben hatte, so führte er jetzt mit einem Minimum an Testaufnahmen unmittelbar zum Ergebnis. Wurde jetzt eine Aufnahme durch eine zweite überprüft, so stimmten die Ergebnisse fast vollständig überein.

FoCal Test Result

FoCal Test Chart Messmodus „Fully Auto“: Sigma 18-35 bei 35mm mit Korrekturtabelle durch USB-Dock

Erfolg

Nachdem die beiden (Tele und Weitwinkel) endgültigen AFMA-Werte ermittelt und programmiert waren, war das Objektiv kaum mehr wiederzuerkennen. Der Autofokus trifft nun (im Rahmen normaler Erwartung) immer, in jeder Entfernung, bei jeder Brennweite. Zwei Aufnahmen hintereinander sind praktisch gleich, die unerklärlichen Unterschiede von vorher sind verschwunden.

FoCal bietet auch einen Test, um ganz speziell die Reproduzierbarkeit des AF zu prüfen. Dazu werden zehn Bilder hintereinander aufgenommen und verglichen, in wieweit die Schärfe dazwischen abweicht. In diesem Test hatte sich das Objektiv von „abgrundtief“ auf „sehr gut“ verbessert.

FoCal Test Result

FoCal Test Chart Messmodus „AF Consistency“: Sigma 18-35 bei 35mm. Der Graph ist stark vergrößert. Wesentlich ist das Ergebnis aus der Tabelle darüber: Consistency of Focus 99,7%, ein sehr guter Wert.

Fazit

Eine Frage muß jetzt natürlich erlaubt sein: Was hat Sigma eigentlich bei den drei (!) Einsendungen zwecks Kalibrierung getan? Genau diese Grundkalibrierung, die hier mühsam vom Benutzer vorgenommen wurde, hätte Sigma – spätestens beim zweitenmal – durchführen müssen.

Auch ist es mindestens „interessant“, die wild hin und her springenden Korrekturwerte zur Kenntnis zu nehmen. Die erfolgreichen Shootings mit dem kalibrierten Objektivs seitdem zeigen, daß diese Werte durchaus den Tatsachen entsprechen. Einen solch dramatisch nichtlinearen Verlauf zeigt mit Sicherheit nicht jedes Objektiv.

Schlußendlich wurde durch die lange Prozedur, welche sich in diesem Fall über anderthalb Jahre erstreckte, ein Objektiv mit fast untauglichem AF in eines mit grundsolidem AF verwandelt. Der Aufwand war hoch, die Kalibrierung selbst hat Tage gedauert, das Ausprobieren jedesmal danach natürlich noch viel länger. Das Ergebnis kann sich allerdings sehen lassen.

Erinnerung:

Daß ein Objektiv für den Betrieb an einer bestimmten Kamera justiert werden muß ist nichts besonderes. Der Objektivhersteller kann nicht wissen, welche Toleranzen die Kamera aufweist, an der das Objektiv schließlich zum Einsatz kommen soll. Und solche Toleranzen besitzt jede Kamera, egal wie teuer. Aussagen wie „Bei dem Preis kann man erwarten, daß es ohne Nachkalibrieren funktioniert“ sind daher unrealistisch. Das gilt nicht nur für Sigma, sondern gleichermaßen auch für alle anderen Dritthersteller und auch für Canon selbst.

Der einzige Unterschied bei Sigma ist, daß hier der Hersteller dem Benutzer eine Möglichkeit gibt, die Justage selbst durchzuführen (USB-Dock.) Der vorstehende Erlebnisbericht ist also keineswegs als Kritik an Sigma aufzufassen, sondern als Lob: Immerhin war es hier überhaupt möglich, die entsprechenden Einstellungen vorzunehmen. Bei anderen Herstellern geht das nicht, falls ein Einschicken nicht hilft, gibt es (ausser AFMA) keine Möglichkeit für den Benutzer, noch helfend einzugreifen.

Eine interessante Besprechung der auftretenden Varianzen findet sich übrigens im blog von LensRentals.com. Ebenso über die Funktion des AF im allgemeinen.

Hinweis Screenshots:

Die Screenshots der Reports sind als Beispiele zu betrachten. Sie wurden nicht linear in einem Stück angefertigt, sondern in mehreren Sessions mit verschiedenen Kameras. Es wird also nicht der Fortschritt vorher->nachher dargestellt, sondern jeweils Momentaufnahmen zur Verdeutlichung des erreichten Zustands.

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