Quick Tip 03: neues Objektiv – scharf?

Jedem von uns ist es schon einmal passiert: Man hat ein neues Objektiv für unanständig viel Geld erworben, macht voller Stolz die ersten Aufnahmen damit – und ist entäuscht. Ist das alles? Sollten die Bilder nicht schärfer sein – bei dem Preis? Ist mein Objektiv kaputt?

Für diese Frage gibt es eine enfache und eine ausführliche Antwort.

Die einfache: Nein, es ist – in 95 von 100 Fällen – nichts kaputt am Objektiv.

Die ausführliche: Es gibt eine Menge von möglichen Ursachen, die zu dem entäuschenden ersten Eindruck führen können. Ein kaputtes Objektiv ist eine der am wenigsten wahrscheinlichen davon.

Was könnten Gründe sein:

Das Objektiv ist neu.

Mit anderen Worten, ungewohnt. Das neue Objektiv kann deutlich schwerer (oder leichter) sein als das, was man bisher gewohnt war. Es braucht Zeit, bis man sich an sowas gewöhnt hat.

Außerdem sucht man bei einem neuen Objektiv explizit nach Fehlern, die bei einem bekannten Objektiv gar nicht mehr auffallen. Natürlich werde ich dann irgendetwas finden – wo gibt es schon soetwas wie ein perfektes Bild.

Das Objektiv ist anspruchsvoll.

Bei einem Objektivkauf wird selten ein Vorgänger direkt ersetzt. Üblicherweise hat das neue Objektiv andere Fähigkeiten als das, was wir gewohnt sind. Anderer Brennweitenbereich und andere Maximal-Blende sind die wichtigsten Auswahlkriterien:

  • mehr Brennweite: Eine lange Brennweite „verwackelt“ viel schneller als eine kurze.
  • weniger Brennweite: Bei einem Weitwinkel- oder Ultra-Weitwinkelobjektiv sind die Ränder immer weniger scharf, als man es von „normal“-Brennweiten (z.B. 50mm) gewohnt ist.
  • größere Offenblende: Je nach Brennweite liegen oft nur Zentimeter innerhalb der Schärfeebene, alles davor und dahinter ist unscharf. Kein Autofokus arbeitet so exakt, daß er hier jedesmal trifft – ein gewisser Ausschuss ist ganz normal, auch bei perfekter Handhabung.
  • Bildstabilisator: Es gibt Implementierungen, die sich erst „einschwingen“ müssen, bevor sie wirken. Andere müssen unbedingt ausgeschaltet werden, wenn man die Kamera vom Stativ aus betreibt. Wieder andere beherrschen „panning“, also das Mitziehen der Kamera mit IS-Korrektur nur in der vertikalen Ebene – andere nicht.

Das Objektiv und die Kamera

Jedes Objektiv hat Fertigungstoleranzen (ja, auch die ganz teuren.) Jede Kamera hat Fertigungstoleranzen (und wieder ja, auch die ganz teuren!) Was kann passieren:

  1. Die Kamera liegt „ungefähr“ in der Mitte, und das Objektiv auch: Ergebnis perfekt.
  2. Die Kamera weicht „nach unten“ vom Mittel ab und das Objektiv auch: Die Abweichungen gleichen sich aus und das Ergebnis ist wieder problemlos.
  3. Die Kamera weicht „nach unten“ ab und das Objektiv „nach oben“: Die Fehler gleichen sich jetzt nicht mehr aus, sondern verstärken sich gegenseitig.

Fall 3 zeigt sich meist dadurch, daß der Autofokus nicht genau auf den gewählten Punkt trifft, sondern entweder immer ein wenig davor („Frontfocus“) oder dahinter („Backfocus“.)

Wichtig: Immer noch handelt es sich nicht um einen Defekt, sondern um ganz normale Toleranzen, die nur aus einem dummem Zufall heraus besonders stark ausfallen.

Glücklicherweise ist das kein Beinbruch: Die meisten aktuellen Kameras und sogar einige Objektive selbst bieten Möglichkeiten, solche Toleranzen auszugleichen. Das Stichwort ist „AutoFokus Micro Adjustment“, kurz AFMA. Streng genommen braucht jede Kamera-Objektiv-Kombination (nochmal: ganz egal, wie teuer sie war) eine solche Anpassung, weil solche Toleranzen immer exisiteren. Hat man Glück, passen Kamera und Objektiv so gut zusammen, daß die Korrektur gering ausfällt. Aber das ist der Ausnahmefall, nicht die Regel.

Fazit

  1. Ist mein neues Objektiv kaputt? – Nein, sehr wahrscheinlich nicht.
  2. Kann ich etwas tun, um speziell die AF-Genauigkeit noch zu verbessern? – Ja, sehr wahrscheinlich schon: AFMA.

Aber das allerwichtigste ist und bleibt ausprobieren. Eindrücke vom ersten Tag nach dem Auspacken sind mit Vorsicht zu genießen. Hat man einmal zwei Wochen mit dem neuen Objektiv gearbeitet, dann kann man einschätzen, ob noch etwas getan werden muß. Laßt Euch nicht von einem flüchtigen ersten Eindruck entmutigen!

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